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Lettland

»Kuldiga« am breitesten Wasserfall Europas

Die beschauliche Kleinstadt »Kuldiga« (14 000 Einwohner/innen) an den Stromschnellen des Flusses »Venta« hat einen ganz besonderen Charme. Hier scheint die Zeit irgendwie stehengeblieben zu sein. Die malerische Altstadt mit ihren engen Gassen erinnert uns an eine Kulisse für historische Filme. Das tägliche Leben läuft hier sehr gemächlich ab. Keine Hektik, kein Stress. Alles ein wenig verlangsamt. 2008 wurde die Altstadt und die romantische Backsteinbrücke in die Liste des UNESCO Weltkulturerbes eingetragen. Eine besondere Attraktion ist der 249 Meter breite Wasserfall, der ganz gleichmäßig über eine etwa zwei Meter hohe Stufe fällt. Wir müssen ein wenig schmunzeln, denn in unserer Heimatregion gibt es weitaus beeindruckendere Wasserfälle zu bewundern. Kleine »Staustufe« wäre wohl der geeignetere Titel. Egal, dort ist es eben eine Sehenswürdigkeit.

Ein »Haus am See«

Lettland ist wirklich ein dünn besiedeltes Land. Wir fahren kilometerweit schnurgerade auf einer breiten Schneise durch den Wald. Nur vereinzelt begegnen wir Fahrzeugen. Irgendwann hört die Asphaltstraße auf und es folgt für einige Kilometer eine kiesig-sandige Piste. Wie aus dem Nichts taucht unser nächstes Ziel auf: ein Freizeitgelände an einem großen See mit Ferienhäuschen, Grillplätzen, Lagerfeuerstellen und einem Bootsverleih. Da und dort steht auch eine Fasssauna. Die freundlichen Besitzer weisen uns einen Platz direkt am See zu. Wir stehen mit unserem Auto unmittelbar neben einem dieser kleinen Häuschen und dürfen die sanitären Anlagen mitnutzen. Angeln kann man auch. Kostenlos. Perfekt! Es werden zwei herrlich ruhige und entspannte Tage.

Stechmückenalarm im Land der »Liven«

Wir erreichen eine Region im Nordwesten Lettlands, in der sich bereits vor über 3000 Jahren ein kleines Volk ansiedelte: die »Liven«. Das Herz der Liven schlägt im kleinen Dorf »Mazirbe«. Genau dort stellen wir unser Auto an einen kleinen, familiengeführten Stellplatz. Es gibt ein paar Sehenswürdigkeiten und die schauen wir uns natürlich an: das »Haus des Livischen Volkes« mit einer kleinen Fotoausstellung, den »Schiffsfriedhof« im Wald und die Dorfkirche, in der noch livisch gepredigt wird. Abends gehen wir noch an den Ostseestrand und genießen die Weite und Stille.

Gut acht Monate sind wir bereits mit dem VW-Bus unterwegs und da und dort haben wir mit ein paar Stechmücken Bekanntschaft gemacht. Alles kaum der Rede wert. Das soll sich jetzt ändern. In Mazirbe herrscht absoluter Moskitoalarm. Auf dem besagten Stellplatz umschwirrt uns dauerhaft eine Wolke dieser kleinen Plagegeister und man kann sich dort nicht aufhalten ohne permanent um sich zu schlagen. Unser Auto scheint diese Biester förmlich anzuziehen, denn sie sitzen zu Hunderten auf dem roten Lack. In weiser Voraussicht haben wir vor der Abreise noch ein Moskitonetz erworben und genau das kommt jetzt zum ersten Mal zum Einsatz. Es war eher ein Blindkauf ohne die Funktion jemals getestet zu haben. Wir befestigen das feinmaschige Gebilde innen am aufgeklappten Dach und spannen einen Baldachin über unser Bett. Da und dort noch eine Wäscheklammer und schon sind wir sicher. Hurra! In der Nacht hören wir zwar die eine oder andere Mücke, doch sie sind ja außerhalb des geschützten Bereichs. Puh! Am nächsten Morgen brechen wir allerdings auf, denn noch einen weiteren Tag unter diesen Umständen wollen wir uns nicht zumuten.

»Kap Kolka«

Unser nächstes Ziel ist das sogenannte »Kap Kolka«. Auf diesem Spitz im Nordwesten des Landes treffen die Wellen der offenen Ostsee mit denen der Rigaer Meeresbucht zusammen. Ein stürmisches Gebiet, in dem viele Schiffswracks liegen und das Baden wegen der unberechenbaren Strömungen lebensgefährlich ist. Es ist zudem ein ausgewiesenes Paradies für Vogelbeobachter. Uns bietet sich an diesem Tag allerdings nur ein trüber, nebliger Anblick. Wir genießen einen Kaffee im Besucherzentrum und fahren dann ein Stück weiter Richtung Süden an der Rigaer Bucht. Es heitert auf, die Sonne kommt heraus und wir machen eine Pause an einem herrlichen Strand. Überall liegen Findlinge im flachen Wasser. Weiter draußen sehen wir ganze Kolonien von Seevögeln auf den großen Steinen sitzen. Ein wahres Naturparadies.

»Riga«

Riga, die Hauptstadt und das kulturelle Zentrum Lettlands, ist mit rund 630 000 Einwohner/innen die größte Stadt des Baltikums. 2016 bekam sie auch den Ehrentitel »Reformationsstadt Europas«. Unser Stellplatz ist etwa drei Kilometer entfernt auf einem industriehaft anmutenden Gelände. Funktional, aber nicht gerade malerisch. Hier trifft man viele Landsleute und ein paar andere Europäer, die sich die Stadt ansehen wollen. Wir erkunden die alte Hansestadt am Unterlauf der »Düna« mit dem Fahrrad und auch zu Fuß. Mit dem »Dumont Reiseführer« finden wir die Sehenswürdigkeiten ohne Probleme: Das Katzenhaus, das Rathaus, die »drei Brüder«, das »Schwarzhäupterhaus«, die St. Petrikirche und den Dom. Wir schlendern durch den Stadtpark, bewundern die prächtige Jugendstilarchitektur und reservieren einen Tisch in einem Restaurant mit Live-Musik am Abend. Besonders einprägsam ist auch ein Besuch des altehrwürdigen »Zentralmarktes«, dem eigentlichen Herzstück der Stadt. Mehr als 80 000 Besucher finden sich täglich dort ein und kaufen alle erdenklichen Waren des täglichen Bedarfs an einem der über 3000 Stände. Obst, Gemüse, Blumen, Kleidung, Haushaltsgegenstände oder technische Geräte. Wir durchqueren die Fleisch-, die Fisch-, die Milch- und die Gastronomiehalle. Überall wuselt es und die verschiedenen Gerüche sind allein schon ein Erlebnis. Riga ist bunt, lebendig und weltoffen. Kein Wunder also, dass es für Touristen aus ganz Europa eine magische Anziehungskraft hat.

Adrenalin auf der »Brasla«

Wir hatten ja bereits über eine Kajaktour in den polnischen »Masuren« berichtet. Alles entspannt und zauberhaft. Diesmal leider nicht, aber der Reihe nach. Wir finden einen abgelegenen Campingplatz am Fluss »Gauja«. Wieder sehr gepflegt mit überdachten Häuschen, Lagerfeuer- und Grillplätzen. Kajaktouren. Sehr schön! Wir zögern nicht lange und buchen gleich für den Nachmittag eine Kajaktour. Die Besitzerin erklärt uns die Alternativen: Eine sehr gemächliche Paddeltour über den Hauptfluss oder eine etwas lebhaftere Tour auf einem kurvenreichen Nebenfluss. Wir entscheiden uns für Zweiteres. Schließlich sind wir ja keine blutigen Anfänger mehr. Mit noch einem zweiten Pärchen am Ausgangspunkt angekommen, kann es auch schon losgehen. Wir sind gut ausgerüstet und haben auch wärmere Kleidung und Regensachen dabei. Nur für den Fall der Fälle. Dazu zwei eingekühlte Biere. Anfangs machen wir noch ein paar Fotos mit dem Handy von der wirklich schönen Naturkulisse. Schnell wird klar: das wird heute keine Bummeltour! Stromschnellen, immer wieder große Steine oder Felsen, manchmal von Weitem sichtbar, manchmal auch nicht. Umgestürzte Bäume, unter denen man durchmuss, tückische Strömungskanten, lange Äste oder Bäume unter Wasser. Eine kleine Unachtsamkeit und schon haben wir das Malheur. Das Boot stellt sich an einem großen Stein quer, kippt ein wenig zur Seite und läuft in Sekundenschnelle voll Wasser. Wir springen sofort ins Wasser und zerren das vollgelaufene Kajak mit vereinten Kräften irgendwie notdürftig an Land. Um es kurz zu machen – wir kommen mit ein paar kleineren Blessuren und Verlusten davon. Ein paar blaue Flecken, ein für immer verlorener FlipFlop, ein beschädigtes Handydisplay, alles tropfnass. Nach etwa drei Stunden unter Adrenalin erreichen wir unser Ziel. Für alle, die den Kick suchen, wäre es vielleicht eine perfekte Tour. Wir gehören leider nicht zu diesen Leuten. Das mitgebrachte Bier trinken wir abends dann am Lagerfeuer.

Tags darauf schüttet es unaufhörlich wie aus Eimern. Wir machen das Beste draus und fahren in die nahegelegene Stadt »Sigulda«. Der Name kommt uns irgendwie bekannt vor, bis der Groschen fällt – ah, Wintersport! Es gibt dort eine Bobbahn und jedes Jahr auch einen Weltcup. Die schauen wir uns natürlich an. Zugegeben nicht schön, aber was soll´s. Zudem finden wir in einem der kultigen Geschäfte noch ein Paar neue FlipFlops. Geht doch!

»Der Baron von Münchhausen – ein Lette?«

Es geht wieder hinaus an die Ostseeküste. Auf dem weitläufigen, gepflegten Gelände direkt am Meer lässt es sich gut aushalten. Wir trocknen unsere nassen Sachen. Eine Waschmaschine gibt es auch. Abends wird gekocht und dann ein Lagerfeuer angezündet. Etwa 20km entfernt gibt es ein Museum, das dem »Baron von Münchhausen« gewidmet ist. Wir fahren mit dem Radl hin und verbringen ein paar herrlich entspannte Stunden auf dem großen Gelände. Der sogenannte »Lügenbaron« ist keine literarische Erfindung, sondern hat tatsächlich gelebt. Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen (* 11. Mai 1720 in Bodenwerder; † 22. Februar 1797 ebenda) war ein deutscher Adliger aus dem Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg. Er hat hier im beschaulichen Örtchen »Dunte« ein paar Jahre gelebt und eine lettische Frau geheiratet. Das Museum ist liebenswürdig verrückt und voller Kuriositäten. Genau richtig für uns.

Der Tag nimmt kein Ende…

Unsere letzte Station in Lettland ist ein Naturpark an einem großen See. Wir sind die einzigen Camper auf dem herrlichen Gelände. Es gibt, wie fast überall hier, kleine Häuschen zu mieten und einige werden auch genutzt. Direkt vom Campinggelände führt ein etwa 100 Meter langer und fünf Meter breiter Kanal hinaus auf den See. Es ist ein Paradies für Angler und die Einheimischen haben hier ihre Ruderboote geparkt. Wir machen eine etwa 50km lange Radtour um den See und werden wieder auf´s Neue überrascht. Die Wege sind teilweise abenteuerlich. Steinige Schotterpisten, Waldwege durch hüfthohes Gras, schlammige Passagen, sandige Wiesenwege. Die Beschilderung ist allerdings gut und es gibt sogar eine dreisprachige Karte, ansonsten hätten wir bestimmt unterwegs umgekehrt. Zum Glück haben wir eine Brotzeit dabei, denn es gibt weit und breit keine Einkehrmöglichkeit. Lettland ist wirklich dünn besiedelt und wer viele Attraktionen sucht, der ist hier verkehrt.

Die Tage werden immer länger. Um vier Uhr früh ist es bereits taghell und um elf Uhr abends kann man noch problemlos draußen ein Buch lesen. Der natürliche Rhythmus kommt ein wenig durcheinander, denn abends kehrt irgendwie keine Ruhe ein. Kinder kommen um 21:30Uhr erst auf den Spielplatz. Der Campingwart fängt um 22:00Uhr mit dem Rasenmähen an. Ein Angler taucht um 23:00Uhr auf und baut gemächlich seine Sachen auf. Eine Campingbesitzerin arbeitet um 23:30Uhr noch im Garten. Eigenartig. Wir sitzen einfach lange draußen, machen, wenn es geht ein Lagerfeuer und genießen die späten Sonnenuntergänge bei einem Glas Rotwein.

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Kommentare: 3
  • #1

    Kletzlfranz (Freitag, 17 Juni 2022 22:48)

    Wieder ein Genuß, euer Reisebericht.
    Viel Spaß weiterhin und liebe Grüße aus Kay.

  • #2

    Karin (Montag, 20 Juni 2022 16:48)

    Danke für die vielen Infos � und Fotos echt Klasse!

  • #3

    Beate Dieplinger (Dienstag, 28 Juni 2022 08:08)

    Zum Ab-tauchen und Ein-tauchen in unsere Schöpfung sind eure Berichte und Bilder .
    Danke fürs Teilen!